Tony Zuber, Organisationsentwickler und Landesplaner in Kolumbien. Seine Bauchentscheidung für eine Karriere im Hier und Jetzt führte ihn von der Schweiz in seine neue Heimat Kolumbien. Was seine Herausforderungen im Alltag in Kolumbien sind und wie seine Arbeit ihm zeigt, um was es im Leben wirklich geht, berichtet er im Interview.
Tony, was wolltest du als Kind werden?
Als ich als Kind das erste Mal mit meiner Mutter in Milano war, habe ich dort in einem Park den Kindern beim Fussball spielen zugekuckt. Da habe ich fest behauptet: „Mami, ich will auch mal Strassenkind werden“. Irgendwie fand ich es draussen auf der Strasse immer aufregender als drinnen eingesperrt zu sein…
Wie sieht dein beruflicher Alltag heute aus?
Heute bin ich auch viel unterwegs. Kein Tag gleicht dem anderen und ich weiss nie was mich erwartet. Genau das mag ich auch an meinem Job. Es ist ungemein abwechslungsreich und ich habe mit den unterschiedlichsten Menschen zu tun. Ich kann am selben Tag draussen in der Pampa einer Fischercommunity helfen einen Businessplan für ihre Fischzuchtprojekte aufzustellen und am Nachmittag mit Vertretern von staatlichen Institutionen in Bogotá über Investitionen in Friedensentwicklungsprogramme in Cartagena verhandeln. Dazu kommen ganz unerwartete Dinge wie Stromausfall, 3 Stunden Verspätung wegen Überflutungen oder eine durch die FARC veranlasste Strassensperre. Mein Chef in der Schweiz hat mich mal darauf angesprochen, ob ich eigentlich ein Büro hätte? Ich meinte nur: Mein Büro ist mein Smartphone.
Auf welchem (Um-)weg bist zu deinem heutigen Job gekommen?
Das ist eine sehr lange Geschichte und ist auch recht emotional. Die Kurzversion geht etwa so: Ich habe früher bei einem grossen Stromkonzern im HR gearbeitet. Ich habe den Job gern gemacht und viel lernen können. Durch meine damalige schwedische Partnerin habe ich die Welt der Entwicklungszusammenarbeit (EZA) kennengelernt. Sie war 10 Jahre im Landminenbereich im Sudan tätig und kam erst durch mich zurück nach Europa. Sie meinte damals, dass ich mit meinen Kompetenzen sehr gut in die EZA passen würde. Wir haben geheiratet und ich wusste, dass ich wohl aus Zürich wegziehen muss, wenn wir gemeinsam eine Zukunft aufbauen möchten. Gegenüber der EZA hatte ich meine Vorurteile, so wie die meisten Westeuropäer. Doch auf der anderen Seite spürte ich den Wunsch da mal genauer hinzuschauen und kucken wie es wirklich ist. Über Google fand ich die Organisation Interteam. Interteam ist eine Schweizerische NGO in Luzern, welche Schweizerische Fachleute aus unterschiedlichen Berufsrichtungen für drei Jahre nach Afrika und Lateinamerika schickt, um durch Wissenstransfer die Lebensbedingungen im Süden zu verbessern, ganz nach dem Motto: Wissen teilen – Armut lindern. Mir schien die Organisation auf anhin sympathisch und so habe ich mich bei Interteam für einen Job in Kolumbien beworben. Gleichzeitig war ich im Rennen bei einem Basler Konzern für eine Kaderstelle im „Learning & Development“. Es wäre ein Karrieresprung gewesen. Im Jahr 2010 ging dann alles drunter und drüber. Meine Frau hatte sich aus heiterem Himmel von mir getrennt, weil sie sich in einen anderen verknallt hatte und ich stand mit zwei Vertragsangeboten da: 3 Jahre als freiwilliger Organisationsentwickler in einem Friedensentwicklungsprogramm in Kolumbien oder 200 Kisten als HR Spezialist in einem Basler Multi. Es war eine Bauchentscheidung: Ich ging nach Kolumbien.
Was war dein bisher schönstes Erlebnis?
Es gibt in Kolumbien sehr viele schöne Erlebnisse. Und sie sind immer in Zusammenhang mit Begegnungen wundervoller Menschen. Kolumbianer sind unglaublich herzlich, verwickeln dich in Gespräche und haben viel Humor. Für mich besonders wertvoll sind die Begegnungen mit den einfachen Leuten vom Land. Ihre positive Haltung dem Leben gegenüber, ihre Kämpfernatur und ihre Fähigkeit ohne materiellen Reichtum fröhlich zu sein, ist für mich jeden Tag von Neuem eine Bereicherung. Es hält mir den Spiegel vor und hilft mir zu verstehen, um was es eigentlich im Leben wirklich geht.
Was waren Ängste/ Befürchtungen von dir?
Natürlich hat man vor dem grossen Schritt über den Teich gewisse Befürchtungen. Ängste würde ich es nicht nennen, aber so ein gewisses Kribbeln vor dem Unbekannten. Aber es ist auch etwas, dass ich immer wieder suche. Das Kribbelige macht mich lebendig.
Was ist dein Plan für die Zukunft? Hast du ein Ziel gesetzt?
In Kolumbien lebt man im Hier und Jetzt. Das ist eine tolle Fähigkeit, die ich oft bewundere. Natürlich hat es auch seine Tücken und im Arbeitskontext ist es nicht immer einfach – vor allem als Schweizer der zuvor in einem Stromversorgungsunternehmen mit einem Planungshorizont von 100 Jahren gearbeitet hat. Hier in Kolumbien ist die Plaunungsfähigkeit praktisch null. Es ist gar kein Bedürfnis da, weil die Menschen immer wieder die Erfahrung gemacht haben, dass eh alles anders kommt wie man gedacht hat. Aber natürlich ist auch ein Teil von mir noch Schweizer und so schaue ich doch mit einem Auge in die Zukunft. Zur Zeit arbeite ich als Landeskoordinator für Interteam in einer 80% Stelle und daneben habe ich noch ein paar Beratungsmandate, z.B ein OE Projekt in Guatemala. Mit Interteam habe ich soeben ein Programm bis Ende 2018 eingereicht. Danach kann es gut sein, dass ich nochmals einen grösseren Wechsel einschlage. Meine Frau möchte zum Beispiel einen Master in Simultanübersetzung machen. Dies würde nur im französischen Sprachraum gehen. Auch ich habe nochmals Lust die Schulbank zu drücken und zum Beispiel ein Nachdiplomstudium in Nachhaltigkeit oder internationale Kooperation in Angriff zu nehmen. Mal schauen, wo es uns dann hin verschlägt. Langfristig sehen wir uns aber in Kolumbien zu Hause. Ich habe hier eine zweite Heimat gefunden.
Welchen Tipp kannst du Personen geben, die einen Change in ihrer Karriere planen?
Wichtig ist, dass man zuerst verschiedene Optionen auslotet, ohne alles gleich hinzuschmeissen. Empfehlenswert fände ich es auch eine Kompetenzbilanz zu machen und schauen, was man damit alles anfangen kann. Ein externer Coach kann dabei helfen. Für mich war vor allem die Sinnhaftigkeit der Arbeit zentral. Kann ich dahinter stehen? Was ist eigentlich das übergeordnete Ziel meiner täglichen Arbeit? Welche Werte vertrete ich und stehen sie im Einklang mit meiner Arbeit? Hat man mal verschiedene Optionen auf dem Tisch und im Kopf alles durchgespielt, ist es wichtig auf den Bauch zu hören….der hat meistens recht.
Vielen Dank für das Interview Tony!
Foto: Tony Zuber
Anne Forster teilt auf dem Anne Forster Blog ihr Wissen rund um das Thema Karriere und Neuorientierung. Wenn sie nicht schreibt, unterstützt sie als Coach Young Professionals beim erfolgreichen Start ins Berufsleben und dem Aufbau einer bedeutungsvollen Karriere Um mehr zu erfahren, besuchen Sie anneforster.ch oder folgen Sie ihr auf Facebook.